frau liegt im bett traurig

Warum narzisstischer Missbrauch so viel tiefer geht als ein gebrochenes Herz

Ich schreibe diese Zeilen nicht, weil ich besonders stark bin. Ich schreibe sie, weil ich zu lange geschwiegen habe.

Weil ich Jahre gebraucht habe, um zu verstehen, dass das, was ich erlebt habe, nicht „nur“ ein Liebeskummer war. Es war kein gebrochenes Herz. Es war ein gebrochenes Selbst.

Wenn man über narzisstischen Missbrauch spricht, klingt es oft abstrakt. Klinisch. Technisch. 

Doch nichts an dem, was ich durchgemacht habe, war abstrakt. Es war ein langsamer, unsichtbarer Prozess, bei dem ich jeden Tag ein kleines Stück von mir verlor, ohne zu merken, dass es überhaupt verschwindet.

Ich dachte immer, ein Mensch könnte mit der Zeit heilen, doch ich musste lernen, dass man von etwas heilen muss, das viel tiefer geht als Herzschmerz: von einem Trauma, das sich in deine Überzeugungen, in dein Nervensystem, in dein Selbstbild einprägt.

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Am Anfang war er perfekt. So perfekt, dass ich manchmal darüber lächelte, wie kitschig es sich anfühlte. Er sagte all die Sätze, die man sich heimlich wünscht und nie zu erwarten wagt.

Er gab mir das Gefühl, als wäre ich die außergewöhnlichste Frau der Welt. Seine Aufmerksamkeit war intensiv, seine Worte warm, seine Nähe so überwältigend, dass ich gar nicht merkte, wie schnell ich mich öffnete.

Heute weiß ich: Er studierte mich. Er spiegelte mich. Er formte die ideale Version von mir, um später genau diese Version zu zerstören.

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Der Übergang von Perfektion zu Abwertung ist so leise, dass man ihn kaum wahrnimmt. Es gab keinen Tag, an dem plötzlich alles anders war.

Es war ein Rutschen. Ein sanftes, fast unmerkliches Abrutschen in seine Welt, in der ich immer ein bisschen falsch, ein bisschen empfindlich, ein bisschen zu viel oder zu wenig war.

Er begann mit kleinen Kommentaren. Mit Sätzen wie:

„Ich meine es doch nur gut“ oder „Du reagierst über“.

Dann kamen subtilere Stiche, gefolgt von Kritik, die er als Fürsorge tarnte.

Ich wollte es nicht sehen. Denn wenn du jemanden idealisiert hast, kämpfst du später um genau diese Version, selbst wenn sie nie echt war.

Ich begann zu zweifeln. An mir. An meinen Reaktionen. An meiner Wahrnehmung. Irgendwann auch an meinem Wert.

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Er verdrehte die Realität so geschickt, dass ich manchmal nicht mehr wusste, ob ein Gespräch tatsächlich so stattgefunden hatte, wie ich es erinnerte.

Wenn ich etwas ansprach, das mich verletzte, sagte er, ich bilde es mir ein. Wenn ich eine Grenze zog, bezeichnete er mich als kalt.

Wenn ich traurig war, war ich „zu sensibel“. Wenn ich verletzt war, war ich „ungerecht“. Wenn ich mich zurückzog, war ich „lieblos“. Und wenn ich blieb, war ich abhängig.

Das Schlimmste war nicht die Abwertung. Es war das Gefühl, dass ich meinen eigenen Verstand verlor.

Gaslighting ist kein lauter Angriff, es ist ein stilles Umschreiben deiner Wahrheit. Ich hörte irgendwann auf, mich selbst zu vertrauen. Ich suchte in seinem Blick Bestätigung, ob meine Gefühle gültig waren. Ich fragte ihn, ob ich übertrieb.

Ich entschuldigte mich für Dinge, die ich nie getan hatte.

Es war nicht mein Herz, das zerbrach, es war meine innere Orientierung.

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Heute weiß ich, dass mein Nervensystem genauso verletzt wurde wie meine Seele. Ich war ständig in Alarmbereitschaft.

Jede Nachricht, die er schrieb, ließ mein Herz schneller schlagen. Jede Verzögerung fühlte sich an wie Bestrafung. Jede Liebesbekundung wie eine Droge.

Ich lebte in einem Wechsel zwischen Erleichterung und Anspannung, zwischen Hoffnung und Angst. Und diese Mischung macht abhängig.

Nicht nach Liebe, sondern nach dem kurzen Moment, in dem der Schmerz aufhört.

Es hat lange gedauert, bis ich begriff, dass ich nicht verliebt war. Ich war traumagebunden. Ein Zustand, der sich anfühlt wie die intensivste Liebe der Welt, obwohl er aus Schmerz entsteht. 

Man hängt nicht an dem Menschen, man hängt an der Hoffnung, dass er eines Tages wieder derjenige wird, den er zu Beginn vorgespielt hat.

Der Moment, in dem ich ging, war nicht dramatisch. Es gab keinen großen Streit. Keine finale Szene.

Es war ein kleiner Moment. Ein einziger Blick. Ich sprach ihn an, weil ich verletzt war, und er lächelte. Dieses Lächeln war nicht liebevoll.

Nicht versöhnlich. Es war ein Lächeln voller Kontrolle, ein Lächeln, das mir sagte: „Du hast keine Macht hier.“

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In diesem Moment begriff ich: Er wird nie verstehen. Er wird nie bereuen. Er wird nie ändern, was er tut. Ich konnte bleiben, und weiter verschwinden. Oder gehen und mich wiederfinden.

Ich ging. Nicht mutig. Nicht stark. Sondern leer. Aber es war das erste Mal seit langer Zeit, dass ich eine Entscheidung traf, die nicht von ihm gelenkt war.

Danach begann der schwierigste Teil: das Leben mit dem, was er hinterlassen hatte. Narzisstischer Missbrauch hinterlässt keine gebrochenen Herzen, er hinterlässt innere Trümmer.

Ich wusste nicht, wer ich war, wenn niemand mich korrigierte. Ich wusste nicht, ob meine Gefühle echt waren, wenn niemand sie in Frage stellte. Ich wusste nicht, ob ich liebenswert war, wenn niemand es mir bestätigte. Ich musste mich selbst neu kennenlernen, wie jemanden, den ich lange nicht gesehen hatte.

Ich lernte, Nein zu sagen.

Ich lernte, Grenzen zu setzen.

Ich lernte, dass meine Wahrnehmung gültig ist.

Ich lernte, dass Liebe nicht wehtun muss, um echt zu sein.

Das dauerte. Es war kein linearer Weg. Es gab Rückfälle in alte Gedankenmuster.

Es gab Nächte, in denen ich mir wünschte, ich hätte nie jemanden wie ihn getroffen, aber auch Tage, an denen ich stolz war, überlebt zu haben.

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Heute verstehe ich den Unterschied zwischen Herzschmerz und Trauma. Herzschmerz entsteht, wenn zwei Menschen auseinandergehen.

Trauma entsteht, wenn jemand dich langsam von dir selbst trennt. Narzissten brechen nicht nur dein Herz, sie brechen die Verbindung zwischen dir und deiner Identität.

Doch genau diese Verbindung kann man wiederfinden.

Ich bin der Beweis dafür, dass man zurückkehren kann. Dass man heilen kann. Dass ein Mensch dich zerstören kann, aber nicht für immer.

Ich schreibe diese Worte als Geständnis, aber auch als Einladung: Wenn du ähnliches erlebt hast, bist du nicht verrückt. Nicht empfindlich. Nicht schuld. Du bist verletzt und Verletzungen dürfen heilen.

Du bist nicht schwer zu lieben. Du wurdest nur jemandem ausgeliefert, der Liebe nie verstanden hat.

Jetzt gehört dein Leben wieder dir. Und das ist der Anfang.

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