an die traeume die ich aufgegeben habe

An die Träume, die ich aufgegeben habe – und vielleicht wieder finde

An euch, meine alten Träume,

ich habe lange nicht an euch gedacht. Vielleicht, weil es wehgetan hat. Vielleicht, weil das Leben laut war – und ihr irgendwann zu leise wurdet.

Ihr wart einst so klar, so bunt, so voller Leben.

Ich habe euch in Notizbücher geschrieben, in den Himmel geträumt, im Herzen gemalt.

Ich habe euch so fest geglaubt, dass ich dachte, nichts und niemand könnte euch jemals auslöschen.

Aber das Leben, das ich mir ausgemalt hatte, kam anders. Und irgendwo zwischen Verantwortung, Vernunft, Liebe und Angst habe ich euch verloren.

Ich erinnere mich noch, wie alles begann.

Damals, als ich dachte, alles sei möglich – weil ich es einfach wollte. Ich wollte reisen, schreiben, Menschen berühren, etwas schaffen, das bleibt.

Ich wollte frei sein, unabhängig, mutig.

Ich wollte so vieles. Und ich war so sicher, dass ich das alles schaffen kann.

Doch dann kamen die Jahre, die das Leben „erwachsen“ nennen würden.

Die Jahre, in denen Träume sich langsam in Kompromisse verwandelten – und ‚irgendwann‘ zu einem Wort wurde, das immer weiter in die Ferne rückte.

Ich habe euch verschoben.

Für Beziehungen, die mich klein machten.

Für Jobs, die meine Sicherheit, aber nicht mein Herz füllten.

Für Erwartungen, die ich nie hinterfragt habe.

Ich habe gedacht: Wenn ich es erst geschafft habe, wenn ich erst stabil bin, wenn ich erst Zeit habe …

Dann komme ich zurück zu euch.

Aber die Wahrheit ist: Ich habe euch immer weiter weggeschoben.

Und irgendwann wart ihr so weit entfernt, dass ich nicht mehr wusste, wie ihr euch anfühlt.

Ich erinnere mich an den Moment, in dem ich das erste Mal bewusst aufgehört habe, an euch zu glauben.

Ich hatte Angst, mich zu blamieren.  Angst, zu versagen. Angst, dass ihr zu groß für mich seid – oder ich zu klein für euch.

Also habe ich gelernt, mich mit weniger zufriedenzugeben.

Ich habe mir eingeredet, dass Realismus etwas Reifes ist, dass Träumen kindisch klingt.

Ich habe euch in Schubladen gepackt und sie mit Etiketten versehen: Später. Wenn. Vielleicht.

Und ich habe funktioniert. Gut sogar. Aber manchmal, ganz leise, wart ihr wieder da.

In einem Lied. In einem Geruch. In einem Satz, der mich plötzlich mitten ins Herz traf.

Dann wart ihr da – und ich spürte diesen Stich.

Nicht Schmerz. Sehnsucht.

Ich habe euch betrauert, wie man etwas betrauert, das man selbst hat sterben lassen. Nicht auf einmal, sondern Stück für Stück.

Mit jedem „Das geht jetzt nicht“, mit jedem „Vielleicht irgendwann“.

Aber heute, während ich diesen Brief schreibe, merke ich:

Ihr seid nie ganz verschwunden. Ihr habt gewartet. Leise. Geduldig. Wie Freunde, die wissen, dass man irgendwann zurückkommt.

Ich habe euch damals nicht verstanden. Ich dachte, Träume wären dafür da, erfüllt zu werden.

Aber ihr wolltet mir etwas anderes beibringen. Ihr wolltet mich daran erinnern, wer ich bin, wenn niemand etwas von mir erwartet.

Ihr wart nie nur Ziele oder Pläne – ihr wart Spiegel. Spiegel meiner Sehnsüchte, meiner Energie, meiner Lebendigkeit.

Und jetzt, da ich euch wiedersehe, erkenne ich, wie sehr ich mich nach euch gesehnt habe.

Ihr habt mir beigebracht, dass Träume keine Frist haben. Dass man mit 30, 40, 50, 60 nicht zu alt ist, um etwas Neues zu beginnen.

Dass es keine falsche Zeit gibt – nur zu viel Angst vor dem ersten Schritt.

Ihr habt mir beigebracht, dass kleine Schritte genauso wertvoll sind wie große Sprünge. Dass ein Traum nicht platzt, nur weil er eine Pause macht.

Und dass Scheitern kein Beweis für das Ende ist, sondern oft der Anfang von etwas Wahrhaftigem.

Ich weiß jetzt, warum ich euch damals aufgegeben habe.

Ich wollte dazugehören.

Ich wollte nicht auffallen, nicht scheitern, nicht ausgelacht werden.

Ich wollte vernünftig sein, so wie man es mir beigebracht hat.

Aber Vernunft ohne Leidenschaft fühlt sich leer an. Und Anpassung ohne Seele ist kein Leben.

Ich habe mich selbst so oft gefragt, wann ich aufgehört habe, an Wunder zu glauben. Und ich glaube, es war in dem Moment, als ich begann, mich zu vergleichen.

Andere hatten Erfolg, Stabilität, scheinbare Kontrolle.

Ich hatte Fragen. Und Angst. Und dieses leise Brennen, das ich weggeschoben habe, um niemandem aufzufallen.

Aber weißt du was, liebes Leben – und ihr, meine alten Träume – ich bin müde, mich zu verstecken.

Müde davon, vernünftig zu sein, wenn mein Herz laut werden will.

Müde davon, mich selbst zu überzeugen, dass „es schon okay so ist“.

Denn es ist nicht okay, wenn das Herz still bleibt.

Ich will wieder träumen. Unvernünftig. Frei. Mit dem Mut, mich lächerlich zu machen.

Ich will wieder an das glauben, was mich einmal leuchten ließ.

An Geschichten, die in mir wohnen. An Orte, die ich noch nicht gesehen habe. An Möglichkeiten, die mich nachts wach halten, nicht aus Angst, sondern aus Vorfreude.

Ich weiß, ich kann nicht alles haben. Ich weiß, das Leben ist kein Wunschkonzert. Aber ich weiß auch, dass Träume nicht verschwinden, weil das Leben passiert.

Sie verändern sich – so wie ich.

Vielleicht muss man manche Träume loslassen, um Raum für neue zu schaffen. Vielleicht ist Aufgeben manchmal gar kein Ende – sondern ein Neuanfang in anderer Form.

Und vielleicht ist das Schönste am Erwachsenwerden, dass man irgendwann erkennt:

Man darf sich neue Träume erlauben.

Heute will ich euch wieder zuhören. Nicht mit Druck, nicht mit Perfektion – sondern mit Neugier. Ich will wissen, was in mir noch lebt, was noch flüstert, was wieder leuchten will.

Vielleicht fangt ihr klein an. Vielleicht beginnt ihr mit einem Gedanken, einem Versuch, einem „Warum nicht?“

Und vielleicht führt ihr mich genau dorthin, wo ich schon immer hingehörte: zu mir selbst.

Ich verspreche euch eins:

Ich werde euch nie wieder vergessen.

Ich werde euch nicht mehr leise stellen, weil andere lauter sind.

Ich werde euch Raum geben – auch wenn ihr unbequem seid.

Ich werde euch ernst nehmen – auch wenn ihr verrückt klingt.

Denn ich habe gelernt: Die größten Träume sind nicht die, die wir erreichen. Es sind die, die uns lebendig machen.

Also danke – an all die Träume, die ich aufgegeben habe. Ihr wart nicht umsonst da. Ihr habt mich geprägt, geformt, geführt.

Und vielleicht – nein, ganz sicher – werdet ihr mich eines Tages wiederfinden.

Nicht, weil ich euch suche. Sondern, weil ich endlich bereit bin, mich selbst wiederzufinden.

Ein Brief, den ich nie verschickt habe – aber der mich daran erinnert hat, dass es nie zu spät ist, neu zu träumen.

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